Lebensgroß, gefühlsecht und bald mit Augenaufschlag – der französische Hersteller DOLL STORY produziert Silikon-Sexpuppen, in die man sich glatt verlieben könnte
Die Vagina muss schön weich, aber widerstandsfähig sein“, sagt Siham Benmohad. Das macht intuitiv Sinn, immerhin soll das gute Stück eine Weile halten. Tausende Euro auszugeben für etwas, das nur zwei Monate zu gebrauchen ist, ist in der Regel kein gutes Geschäft. Das weiß auch Benmohad. Sie ist Managerin bei Doll Story, Europas Marktführer für Luxus-Sexpuppen. Verkauft werden nicht etwa die bei Junggesellenabschie den heiß begehrten Plastik-Mätressen mit kreisrundem Mund und luftgefüllten Gliedmaßen, sondern realistisch anmutende Mannequins mit Skelett, Gelenken, Haaren und Silikonhaut. Abwaschbar und in Dessous von H&M. Gespielinnen, die echt aussehen, sich echt anfühlen – und zwar von außen wie von innen.
Absurd? Irgendwie schon. Pervers? Höchst wahrscheinlich. Lukrativ? Auf jeden Fall. Das Geschäft mit den anatomisch korrekten Puppen floriert. Der französische Hersteller verzeichnet Jahresumsätze in Millionenhöhe. Mit einem jährlichen Anstieg von knapp 30 Prozent und monatlich 90 000 Besuchern im eigenen Onlineshop. Die Nachfrage übersteige mittlerweile sogar die Produktionskapazität des Unternehmens, nuschelt Geschäftsführer Jean-Philippe Carry in breitem Französisch mit Fluppe im Mund.
Carry sitzt im Wintergarten seines Appartements, das gleichzeitig auch Atelier seiner Firma ist. Im Hinterhof einer kleinen Seitenstraße in Lyons neuntem Arrondissement. Wer zu ihm will, muss klingeln, drei Türen baufälliger Gebäude durchlaufen und schmale Gänge passieren. So wie Benmohad. Die 30-Jährige ist seit acht Jahren an Carrys Seite und augenscheinlich mehr als nur seine Managerin.
Damit ist sie aber nicht die einzige Frau. Auf der großen Couch im Wohnbereich des Ateliers liegen fünf weitere, lasziv, halbnackt. Mit Höschen so knapp, dass es keiner weiteren Vorstellungskraft bedarf. Körper, die für jeden Geschmack das Richtige bereithalten. Bei ihm hat man die Wahl, wirbt Carry für die fünf Modelle seiner Firma. „Kleine Brüste, große Brüste. Schmale Taille, wenig Schamhaar.“ Einstiegspreis für den wahr gewordenen Silikon-Traum: rund 7000 Euro pro Puppe. Basisausstattung. Aufschlag gibt es für Fetisch-Upgrades wie Elfenohren und Vampirzähne. Amputationen: ausgeschlossen.
Carry rührt in seinem Kaffee, ein längeres Prozedere. Zu viel Zucker in der Tasse. Es glimmt die zweite Zigarette. Benmohad sitzt aufrecht, bewegt sich kaum. Carry rührt. Benmohad schweigt. Mit der Anwesenheit eines Dritten gerät die französische Boheme hier im plüschigen Atelier schnell mal aus den Fugen. Ein Moment der Annäherung – so verstörend, als komplementiere man unwissentlich das Gefüge einer Dreiecksbeziehung.
Dann endlich wieder genuscheltes Französisch: Die Sexindustrie, wenn auch verrucht und nicht vertrauenswürdig, sei ein dankbares Business. Nachfrage gäbe es immer. Der Markt mit den Puppen wird für Jahrzehnte nicht erschöpft sein. Und das Schöne an Unternehmen wie seinem, so Carry: Es sei so fern ethischer und moralischer Vorstellungen, dass es nie von feindlichen Übernahmen bedroht sei.
Bevor der heute 50-Jährige Doll Story vor acht Jahren gründete, war er Marketing Direktor einer großen Softwarefirma in Paris. Die wurde 2004 von einer belgischen Unternehmensgruppe kurzerhand einverleibt und Carry vor die Tür gesetzt. Der las kurz darauf in einem Magazin von einem Unternehmen namens 4 Woods, dessen Geschäftsmodell vielversprechend klang. Um seine weitere Zukunft zu planen, machte Carry sich auf nach Japan und lernte dort Hirô Okawa kennen, Geschäftsführer von 4 Woods. Das Unternehmen, das übersetzt „für Ständer“ heißt, produziert bereits seit Jahren Silikonpuppen und ist führend auf dem japanischen Markt. Okawa wollte expandieren. Carry sein eigener Chef sein. Sie kamen ins Gespräch. Es folgten: Handschlag, Freundschaftsbeteuerungen und einiges an Sake. Kurz: Carry wurde Gründer und Geschäftsführer der 4-Woods- Tochtergesellschaft Doll Story.
Produziert wird auf einem weitestgehend verlassenen Industriegelände im Außenbezirk von Lyon. In einer Halle mit summendem Röhrenlicht, ätzendem Lösemittelgeruch und Silikonklecksen auf dem Boden. Ein Ort dystopischer Handwerkskunst, abgeschirmt von der Realität, aber mit freier Sicht auf gespreizte Silikonschenkel und kopflose Frauenkörper – drapiert auf Liegen unter riesigen Industriedunstabzugshauben. In der hintersten Kammer befindet sich das Kernstück der Produktionskette: das Gusseisen in Frauensilhouette – aufgespießt an der Wirbelsäule mit Holzpflöcken; für einen besseren Stand und gleichmäßige Verteilung der Silikonmasse.
Das Wissen zur Herstellung der Puppen stellt Okawa den Franzosen zur Verfügung. Metallskelett und speziell angerührtes Silikon mit unterschiedlichem Weichheitsgrad für Brust, Gesicht und Körper sind ebenfalls japanischer Herkunft. Wie auch die Gussformen: Gliedmaßen, Knie und Vulva jeder Doll wurden alle modelliert nach Gliedmaßen, Knien und Vulva von ein und derselben Frau. Einer japanischen Mitarbeiterin von 4 Woods, die für die realistische Anmutung der Mannequins die Hüllen fallen ließ und jetzt den nach ihrem Vorbild geformten Puppen die Finger lackiert und das Schamhaar einnäht.
„Brüste und Gesicht der Puppen sind aber fiktiv“, sagt Carry. Das müsse schon aus rechtlichen Gründen so sein – „Stichwort Copyrights“. Gesichter bekannter Personen zu modellieren sei ein zu großer Aufwand und vor allem zu teuer. Das allerdings sieht man bei der Konkurrenz aus Los Angeles anders: Die in Kalifornien ansässige Firma Abyss Creations hat über ihre Marke Real Doll bereits 2010 Lizenzen erworben, die es dem Unternehmen erlauben, Gesicht und Körper bekannter Pornodarstellerinnen wie Jessica Drake oder Alektra Blue zu modellieren. Gesichtszüge, Körpermaße und -öffnungen werden mit 3-D-Software erfasst und anschließend zurechtgefräst. Dazu gibt es Feature- Upgrades wie das herausnehmbare und gebogene Deep-Throat-Mundstück, eine noch flexiblere Wirbelsäule und ein Fläschchen vom Lieblingsparfum der Darstellerin. Beworben mit dem Slogan: „Have a porn star ready and waiting for you every night.“
Die Konkurrenz sei eben „vulgär“, urteilt Carry. Deshalb bevorzugt er für seine Puppen auch den Begriff „Love-“ statt „Sex-Dolls“. Wenn es um die Frage der Ästhetik geht, gibt Carry sich gerne schroff: Er verstehe seine Arbeit als Kunst. Was die Konkurrenz mache, habe erstens nichts mit Kunst zu tun, und zweitens interessiere sie ihn nicht. Er fährt sich mit der Hand durch die Haare. Kämmt sich eine Strähne aus dem Gesicht und steckt eine Kippe an. Eigentlich hat er das Rauchen in den Werkräumen verboten, aber er ist Chef. Der Rauch wabert im Röhrenlicht. Das liegt weiß und grell auf den nackten Frauenkörpern. Carry: „Pornografische Darstellungen meiner Mannequins wird es nicht geben. Ich will sie nicht in der Nähe von Dildos, auf Sexmessen oder in Doll-Bordellen sehen.“
Das seien nämlich zwei absolut unterschiedliche Geschäftsmodelle. Puppen als Porno-Sternchen, womöglich mit sperrangelweit offenem Mund, das ginge gar nicht. „Verkauft man Puppen, dann müssen sie auch wie Puppen aussehen. Ansonsten sind es Surrogate“, so Carry. Ersatzpartner also. Darum habe er parallel zu Doll Story noch ein weiteres Unternehmen gegründet. I-Clone. „Wir versuchen, mein Gesicht und Körper zu reproduzieren“, sagt Benmohad hinter dem Mundschutz, die gerade einer Doll Augäpfel in die Augenhöhle drückt. „Ein Surrogat mit all meinen Falten und Schönheitsmalen.“ Ein Zukunftsprojekt. Bislang übersteigen die Produktionskosten einen für den Markt akzeptablen Verkaufspreis. Der läge zurzeit bei 50 000 Euro. Das ist auch die Summe, die man bei Real Doll für „Custom-made Dolls“ mit individuellen Körpern und Gesichtern zahlen muss. Aber wie bei allen technologischen Neuheiten versucht man hier die Kosten und damit den Verkaufspreis zu senken.
Die Kalifornier um Real-Doll-Gründer und Geschäftsführer Matt McMullen verfolgen einen ähnlichen Ansatz. Allerdings soll der kommunikative Aspekt stärker in den Vordergrund rücken: „Am Ende geht es um Interaktion. Nicht allein um Sex. Ist die Puppe beispielsweise mit dem Handy verbunden, kann sie die Memos einsehen und eine Erinnerungs-SMS schicken, dass noch Milch im Kühlschrank fehlt“, so McMullen. „Das verbindet.“ Was die Motorik der Dolls anbelangt, so setzt man bei dem kalifornischen Unternehmen ebenfalls auf „feine Bewegungen, wie einen Hand- oder Blowjob“.
Carry steht dem misstrauisch gegenüber. Sagt erst mal nichts und hebt die linke Brust der gerade aus der Gussform geschälten Puppe an. Qualitätscheck. Früher hat er die vaginale Gefühlsechtheit der Prototyp-Mannequins noch selbst getestet. Jetzt reicht die händische Qualitätskontrolle. Das Silikon ist noch feucht. Das Skelett noch etwas steif. Handjobs und Oralsex seien zwar möglich, aber Silikon eigne sich nicht für feinmotorische Surrogate oder Androiden: „Silikon ist zu brüchig“, so Carry. „Für große und vor allem viele Bewegungen ist das Material nicht geeignet. Aber wir entwickeln bereits Alternativen.“
Die Augen von Doll Yurica sitzen. Das Gesicht ist geschminkt. Benmohad hievt mit ihrer Schwester Myriam die 27 Kilogramm schwere Puppe zum Versand in eine Kiste. Löst dann aber für kleine Ausbesserungen noch mal den Kopf vom Körper: „Als ich in diesem Business anfing, hatte ich bei der Gestaltung der Puppen den Terminator im Hinterkopf.“ Langsam, aber sicher nähert sich die Realität dieser Idee an. Benmohad ist überzeugt, dass Surrogate, ausgestattet mit artifizieller Intelligenz und Feinmotorik, in naher Zukunft nicht nur in der Sexindustrie, sondern auch in Sicherheits- und im Gesundheitssektor Verwendung finden.
Mittlerweile werden Puppen schon für Trainingszwecke an medizinische Zentren verkauft. Und auch Unternehmen wie Boston Dynamics, das für das US-Militär vor allem im Bereich autonomer Laufroboter forscht, sind ebenfalls an den Puppenherstellern interessiert. Carry streichelt über den Kopf einer seiner Puppen, als wolle er sie trösten: „Wir werden nicht immer im Sex-Business bleiben.“