Business Punk

Und warum hast du 'ne Maske auf?

Der Berliner Künstler Rein Vollenga arbeitet im Schutz der Dunkelheit. Seine Fetisch-Masken glänzen dagegen längst im internationalen Blitzlichtgewitter. Höchste Zeit, dass sich auch ihr Schöpfer ans grelle Rampenlicht gewöhnt

Ein schöner, dicker, erigierter Penis kommt den Laufsteg der London Fashion Week entlang. Überdimensional, glatt und glänzend. Bepinselt mit brauner Lackglasur. Ein Phallus wie geleckt. Penibel in Handarbeit errichtet. Hand an ihn gelegt hat der Künstler Rein Vollenga – im Rahmen der New Power Studio Runway-Show vor drei Jahren. Steif sitzt die Kopfbedeckung mit prallem Gepränge auf dem gelockten Haar des weiblichen Models. Auf den Rängen applaudiert das Who’s who der Modewelt. Auch Vollenga sitzt im Publikum. Erste Reihe. Er freut sich schon auf das nächste Model. Es trägt eine Kappe, deren Micky- Maus-Ohren hochglanzpolierte Brüste sind.

Damit man es nicht falsch versteht: Bei Rein Vollenga und seiner wenig zweideutigen Kunst handelt es sich nicht um Basteleien eines Pubertierenden. Der 34-Jährige hat sich in den letzten Jahren mit seinen „tragbaren Skulpturen“, wie er seine Werke nennt, international einen Namen gemacht. Die Masken, die durch BDSM-Chic und aufdringliche Anzüglichkeit den Betrachter grübeln lassen, ob man nicht sein Leben lang nur Blümchensex hatte, hingen schon in den Ausstellungsräumen des Louvre, waren in Zeitschriften wie der italienischen „Vogue“ und „Dazed & Confused“ zu sehen – wie auch in der Werbekampagne für Lady Gagas Parfum „Fame“, in dem Miniatur-Lustknaben den nackten Körper der Gaga besteigen. Arbeitskollegin Janet – eben jene Nippelgate-Jackson – ist genauso begeistert und wirbt auf ihrer Homepage für den Fetisch. Und Model-Freak Zombie Boy, der so aussieht, wie er heißt, trägt im neuesten Clip des chinesischen Regisseurs und Pop-Idols Juno Mak eine von Vollengas Masken, in deren Augenhöhlen Dolche stecken.

Ja, alles ein bisschen Hardcore. Alles ein bisschen Porno und finster. Aber daraus zieht Vollenga seine Inspiration. Seine Muse ist dann auch kein zartes Mädchen mit rosa Wangen, sondern eine ehemalige Bodybuilderin mit „ultramännlichem Anabolikakörper“ und üppigen Silikonbrüsten. „Sex, Drama und die Ambiguität der Geschlechterrollen faszinieren mich eben“, sagt Vollenga. Kennengelernt haben sich Künstler und Muse zu Studienzeiten an der Den Bosch Royal Academy of Arts and Design in einem Schwulenclub. Vollenga hält sich gerne in Grauzonen und ihrem mystischen Kosmos auf. Denn nur dann entstehe Kunst wie seine, die „direkt von einem anderen Planeten kommt“.

Aber erst mal Planet Erde. Deutschland. Berlin- Kreuzberg. Fünf Minuten Gehweg von der U-Bahnstation Schlesisches Tor. Hier hat Vollenga, im Hinterhof einer alten Industriehalle, seine Werkstatt. Nicht sonderlich groß. Mit Gerümpel vollgestellt. Bis auf eines sind alle Fenster verbarrikadiert. Nur spärlich fällt Tageslicht auf den staubigen Boden. Der Erfolg der letzten Jahre scheint hier noch nicht angekommen zu sein. Vollenga hat zwar „Fame“, aber kein „Fortune“. Das weiß er selbst: „Es ist eine Illusion zu glauben, dass gute Presse gleichzeitig Reichtum mit sich bringt.“ Für die mediale Aufmerksamkeit kann er sich nicht viel kaufen. Darum verschlägt es ihn seit zwei Jahren mehrmals die Woche in Berlins Clubszene: ins Berghain. Nicht, um sich im Disco-Darkroom zu amüsieren, sondern, um sich hinter der Panorama-Bar mit dem Ausschank von Getränken ein paar Euro dazuzuverdienen. Wie lange er das noch machen will? So lange wie eben nötig.

Dabei hätte er schon längst richtig Geld scheffeln können. Lukrative Angebote aus der Erotik-, präziser: Fetischbranche hat Vollenga bisher aber abgelehnt. „Ich bin Idealist. Mir geht es nicht um Kohle, sondern um Kunst.“ Die soll in bedeutenden Theaterinszenierungen und Filmproduktionen zu sehen sein – nicht in Sexshops. „Zweitens: Nur weil meine Skulpturen schwarz sind und glänzen, produziere ich noch lange kein Fetischspielzeug. Was mich zu drittens bringt: Die Leute müssen einfach mal mit der Stigmatisierung aufhören.“

Dumm nur, dass seine tragbaren Skulpturen von Pop- und Modekünstlern immer wieder im Sadomaso- Kontext gezeigt werden. Dass er mit Ausstellungen zu Themenschwerpunkten wie „Technologie und Sex“ selbst die Richtung vorgegeben hat, sieht er ein. Ihn darauf festzunageln sei aber eine Verständnisschwäche der Gesellschaft. Und dann gibt es da ja noch das veraltete Credo der Kunstbranche, die über eine Zusammenarbeit mit der Modeszene ohnehin die Nase rümpft, weil die Fashionwelt hohl und schmutzig sei. „Dabei ist das die Zukunft“, erklärt Vollenga. „Kunst, Design und Mode werden mit der Zeit immer häufiger miteinander verschmelzen.“ Trotzdem versucht sich Vollenga immer mehr vom „verführerischen“ Modezirkus zu distanzieren, um im Theater-, Film- und Kunstgeschäft als echter Künstler wahrgenommen zu werden. Klingt nach Geltungsbedürfnis. Der junge Aufstrebende, er hadert mit den Alten, die ihn verurteilen – will aber dazugehören.

Vollenga schlägt die Beine übereinander, als wolle er damit auch das Thema wechseln. Er sitzt vor seiner staubigen Werkbank, an der er Gebrauchsgegenstände bis zur Unkenntlichkeit zerstört, um sie wieder zu Skulpturen zusammenzusetzen. „Keine Sorge, was ich mache, hat nichts mit Selbsttherapie zu tun. Ich liebe es einfach, Sachen zu zerstückeln“, flüstert Vollenga. Der Hannibal Lecter der Hartplastik – er ist gründlich: besorgt eigenhändig in Supermärkten und Partyshops das notwendige Material, organisiert die Vermarktung seiner Kunst und kümmert sich auch um den administrativen Papierkram. „Ich weiß einfach, was ich tue.“

Darum wartet er auch nicht auf konkrete Kundenwünsche, sondern verkauft die meisten seiner Werke auf Kommission. Skizzen und dergleichen gibt es nicht. Wenn es hochkommt, hier und da mal ein paar Bildchen, damit Kunden wie Fashion-Director Nicola Formichetti oder Filmemacher Matt Lambert wissen, wo die kreative Reise hingeht. Das ist dann aber auch schon alles. „Ich bestimme, wie meine Skulpturen aussehen.“ Vollenga ist Perfektionist und Eigenbrötler. Neben sich duldet er kaum einen anderen. Nur den Fotografen Jonas Lindström – mit ihm kann er. „Es ist eine Frage der Dosierung. Bei Rein muss man sich eben ein wenig zurücknehmen können“, sagt Lindström. Ansonsten ist Vollenga eine One-Man-Show ohne Netz und doppelten Boden. Eine Arbeitsunfähigkeitsversicherung hat er nicht: „Verliere ich meine Hände, bin ich am Arsch!“

Wie er da also mit gekreuzten Beinen auf seinem Schemel sitzt, hat Vollengas Auftreten irgendwie etwas von einem schlecht synchronisierten Kung-Fu- Film: Stimme und Bewegungen passen nicht zum Rest. Wenn er spricht, klingt es zärtlich und weich. Er gestikuliert rund und schwungvoll. Die mit Kühlgel beschmierten Augenringe entlarven ihn als Nachtmenschen, als nocturnen Freak, der erst so richtig aufdreht, wenn die Sonne untergeht. Der Körper ist übersät mit Tattoos, die über die Halsschlagadern bis in den Nacken kriechen. Zwei der Motive sind christliche Symbole: Dürers „Betende Hände“ und ein kleines gotisches Kreuz hat er sich erst vor ein paar Wochen auf die rechte Wange stechen lassen. Mit Religion hat er nichts am Hut. Vollengas ganzes Wesen lebt vom Widerspruch. Kleidungsstil: weite Hosen, Turnschuhe und Käppi tief ins Gesicht gezogen. Vollenga erklärt es so: „Ich bin ein schwuler Mann mit der Ästhetik eines Gangsters.“

Konventionen sind dem gebürtigen Holländer sowieso zu bieder; die Realität ist ihm zu banal, der Alltag zu langweilig. Er hasst Einkaufen, Bücher und das Bildungssystem. Andere Interessen außer seiner Kunst hat Vollenga keine. Gut, er liebt Märchen – wegen der Bilder, nicht der Buchstaben. In der Schule nannten ihn alle Kinder Reinecke Fuchs, wie das listige Tier aus der Fabel „Reynke de vos“, das sich durch clevere Lügengeschichten aus all seinen prekären Lagen rettet und seine Gegner an den Galgen liefert. Welcher verzapfte Scheiß es war, dem Vollenga diesen Spitznamen verdankte, will er nicht verraten. Bleibt sein Geheimnis. Davon hat er viele.

Aus welchem Material zum Beispiel seine Masken bestehen, „sollte dem Betrachter ehrlich gesagt nicht so wichtig sein“. Wie teuer die Masken sind, „muss in einem Magazin nicht unbedingt erwähnt werden“. Aber vielleicht, ob für den kreativen Prozess seiner hyperrealistischen Skulpturen der Gebrauch bewusstseinserweiternder Mittel hilfreich ist? „Sorry, darüber will ich nicht reden!“ Oder doch? „Bei meiner Arbeit muss man präzise sein, da sind Drogen eher kontraproduktiv.“ Okay, Auskünfte über das nächste große Projekt vielleicht? „Will ich noch nicht verraten.“ Björk, die isländische Sängerin und eines seiner musikalischen Idole, ist es jedenfalls nicht – für das anstehende Projekt sagte Vollenga den gemeinsamen Silvesterurlaub mit ihr ab. So viel sei aber gesagt: In den nächsten Monaten wird wieder eine US-amerikanische Sängerin mit Vollenga-Lackmaske zu sehen sein. Dann geht die Fetischshow wieder los. Ob der Künstler dann aus seinem eigenen Schatten tritt und auch finanziell von seiner Popularität profitieren kann, weiß er noch nicht. „Das Leben eines Künstlers ist halt eine harte Realität, aber mit Vorteilen“, sagt er. Denn wenn die wieder mal nervt, bleibt ihm hinter seinen dunklen Masken ja immer noch die fabelhafte Welt der Anomalie.