Eine Berliner Firma arbeitet an der Abschaffung eines jahrtausendealten Werkzeugs: dem Schlüssel.
Unternehmen zahlen, Verbraucher pro- fitieren. Klingt wie ein plumpes Wahlversprechen. Ist aber der Versuch des Berliner Unternehmens Kiwi.ki, eine 4000 Jahre alte Erfindung überflüssig zu machen: den Haustürschlüssel.
Die Geschichte von Kiwi.ki begann 2011, als die damalige McKinsey-Beraterin, Ingenieurin und dreifache Mutter Claudia Nagel mal wieder mit Aktenkoffer, Einkaufstüten, Handtasche und Kind auf dem Arm vor verschlossener Tür stand und sich fragte, warum es für dieses Problem noch keine technische Lösung gebe. Im Herbst 2011 weihte Nagel ihren Kollegen Christian Bogatu in ihre Geschäftsidee ein: schlüssellose Haustüren. Peter Dietrich, ein erfahrener Jurist, stieß dazu, und so gründete man im Dezember 2012 Kiwi.ki.
Seither entwickelt das Berliner Start-up Schließsysteme, die das Öffnen von Türen ermöglichen, ohne dafür einen Schlüssel oder eine andere Gerätschaft – auch keine Chip- oder Magnetkarte – in die Hand nehmen zu müssen. Ein sogenannter Passive-Transponder, ein kleiner Sender, den man bei sich trägt, übermittelt selbstständig und permanent über Funk elektromagnetische Wellen an das Modem, das mit dem herkömmlichen Schließsystem der Haustür verbunden ist. Sobald man sich der Tür nähert, wird es freigeschaltet, und man kann die Tür aufstoßen. Keine technische Revolution, son- dern radiofrequentierte Identifizierung. Kurz: RFID.
Sie wird bereits in der Automobilbranche, Hotellerie und in modernen Büroge- bäuden angewandt. Für die Wohnung hat sich der Komfort automatisierten Zutritts nicht durchgesetzt. Bis jetzt.
Kiwi.ki will in den kommenden Jahren die rund drei Millionen Mehrfamilienhäuser in Deutschlands Großstädten und Ballungsräumen ausstatten. Technisch ist das längst machbar. Die Berliner bieten sogar eine App an, die es erlaubt, Freunden den Zugang zum Haus über das Telefon freizuschalten. Das Handy fungiert dann als Schlüssel. Von dieser Idee sind nicht nur die Erfinder begeistert. Auch eine Investorengruppe war davon überzeugt und stellte ein Jahr nach der Gründung einen hohen siebenstelligen Betrag zur Verfügung.
Das Problem ist der Marktzutritt. Die Gründer hatten geahnt, dass es schwierig werden würde. „Es ist immer verdächtig, wenn eine gute Idee noch nie umgesetzt wurde“, sagt Christian Bogatu. Er weiß, was es so schwer macht, das System zügig eizuführen: zum einen Sicherheits- und Datenschutzstandards. Dieses Hindernis hat die Firma inzwischen weitgehend überwunden. „In puncto Sicherheit setzten wir neue Standards“, wirbt Bogatu: Der Passive-Transponder generiere nie wiederkehrende Zufallszahlen, die ein Kopieren oder Hacken des Senders sinnlos machen sollen.
Doch fast noch schwerer zu lösen als das Sicherheitsproblem ist die scheinbar simple Frage, wer eigentlich die Kunden sein sollen. „Entscheider und Nutznießer sind oft nicht ein und dieselbe Person“, erklärt Bogatu. Das gilt vor allem für Mietshäuser: Die Mieter freuen sich, aber die Infrastruktur, die für das schlüssellose System nötig ist, muss der Hausbesitzer installieren lassen. Was hat der davon?
Kiwi.ki hat auch dafür eine Lösung gefunden. Das Start-up finanziert den Ausbau der notwendigen Infrastruktur durch Exklusivverträge mit Unternehmen wie der Deutschen Post oder dem Berliner Müllentsorgungsunternehmen Alba, die unmittelbar profitieren. „Um an die Abfallcon- tainer in den Innenhöfen zu gelangen, verwalten wir in Berlin insgesamt knapp 60 000 Schlüssel. Ein unglaublicher organisatorischer Aufwand“, begründet der Geschäftsführer der Alba Berlin GmbH, Bernd-Rüdiger Worm, die Zusammenarbeit. Wäre das System in der ganzen Stadt installiert, bräuchte das Entsorgungsunternehmen nur noch einen Schlüssel. Radio- frequentiert, versteht sich.
Die Deutsche Post steht in Verhandlungen, um mit dem System ihren Briefträgern die Arbeit zu erleichtern. Die Deutsche Telekom und die Allianz sind weitere Kooperationspartner, die sich gute Geschäfte erhoffen. Die einen versichern die RFID-Sender gegen Verlust, die anderen liefern die SIM-Karten für die Modems.
So sollen die Kosten auf die Partner und nicht auf die Bewohner umgelegt werden. Die müssen nur noch den Sender für knapp 50 Euro kaufen. Eine clevere Idee, Vertrieb quasi durch die Hintertür.
„Wir wollen Teil von Smart-City-Solutions werden“, sagt Bogatu. Er sieht das Angebot seiner Firma als wichtigen Baustein einer digitalisierten Wohnwirtschaft. Derzeit laufen Gespräche mit der Berliner Feuerwehr. Bogatu: „Wenn es zu einer Zusammenarbeit kommt, können wir das Leben nicht nur ein Stück einfacher machen, sondern manchmal sogar retten. Und zwar auf schnellstem Wege.“